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Wieso wollen rechte Populist*innen nicht mehr aus der EU austreten?

, von  David Fernández, übersetzt von Sina Häusler

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Wieso wollen rechte Populist*innen nicht mehr aus der EU austreten?

Bei den Europawahlen im Mai dieses Jahres erwarteten Expert*innen einen großen Zulauf zu rechten, populistischen Parteien. Letztendlich war das Ergebnis nicht bedeutend anders als im Jahr 2014. Das Augenmerk lag nicht darauf, was die Politiker*innen sagten, sondern was sie nicht sagten.

Die rechtsextremen Politiker*innen, sowie der italienische Matteo Salvini, die französische Marine Le Pen oder der niederländische Geert Wilders, zelebrierten in sozialen Plattformen, als die britischen Bürger*innen am 23 Juni 2016 für den Austritt aus der EU wählten. Im Jahr 2019 verbleiben jedoch nur Geert Wilders (PVV) und die AfD, die einen Nexit und Dexit wollen.

Der Artikel 50, Volksabstimmungen und Kritik an der Lebenssituation sind kein Thema mehr außerhalb der erstickenden Bürokratie in Brüssel. Die Parteien sind noch keine Euroföderalisten, dennoch ist ihr neues Motto „Reform anstelle von Exit“.

Im Januar 2019 schrieb der schwedische Demokrat Jimmie Akesson einen offenen Brief, dass die Partei sich vom Austritt der EU abwenden werde. Stattdessen solle die Partei für Vereinbarungsreformen kämpfen. Diese Vereinbarungen würden die Post-Maastricht-Integration auflösen, aber würde Schweden in der EU bestehen lassen.

Die französische Rechtsextreme hat ebenfalls ihre Ambitionen fallen gelassen, die EU zu verlassen. Sie setzt sich dafür ein, dass die EU reformiert wird, sogar einen anderen Namen schlägt sie vor. Zu erwähnen ist ebenso, dass laut ihrer Reform in einigen Regionen mehr Integration als Immigration stattfinden sollte.

Wie legen Parteien ihre Grundsätze fest?

Wieso haben sie ihre Meinung gegenüber der EU geändert? Anders als jeder glaubt, können die rechten, populistischen Parteien pragmatisch und flexibel in ihren Entscheidungen sein. In dieser Hinsicht verhalten sie sich wie jeder andere Parteivorsitzende. Sollte eine Idee Wahlverluste hervorrufen, dann wird sie fallen gelassen und so getan, als wäre sie nie vorgeschlagen worden.

Die meisten rechten, populistischen Parteien haben einen autoritären Vorsitz, in diesem die Vorsitzenden am langen Hebel sitzen. Das Fehlen von interner Demokratie kann ein Vorteil sein: Dadurch das die Vorsitzenden nicht zusammen mit mehreren Parteimitglieder*innen entscheiden, können sie flexible Entscheidungen treffen, um die gewählten politischen Ziele zu verfolgen.

Es gibt dennoch Parteien, in denen eine ziemlich interne, demokratische Entscheidungspolitik vorherrscht, wie zum Beispiel in der AfD. Das deutsche föderalistische Gesetzbuch für Parteiengründung zwingt sie zu dieser Vorgehensweise. Das bedeutet, dass mehrere Parteimitglieder*innen die Leitlinien der Partei festlegen.

Politikwissenschaftler*innen sagen uns, dass fast immer die Parteimitglieder*innen ideologisch extremer sind als die Durchschnittswähler*innen oder der Parteivorsitz. Mitglieder wollen ihre ideologische Reinheit beibehalten und Vorsitzende, die ihre Grundsätze durchsetzen.

Das führte zu starken Vorsitzenden in rechten, populistischen Parteien, welche schon einer Diktatur nahekommen und das führte zu einer Zuspitzung bezüglich des Austritts der EU. Der einzige Fall einer demokratischen Parteiführung ist die AfD, welche zu Extremismus führte.

Ist der Brexit ein Ausweg?

Die europäischen rechtsextremen Populisten hatten immer eine schwierige Beziehung zur EU. Die britischen Euroskeptiker*innen waren nie gegen eine europäische Integration, eher gegen das Ausmaß, den sie angenommen hat. Ihre neoliberale, distanzierte und weltoffene Einstellung machte Brüssel zu einer leichten Beute in ihrem „Kampf“ gegen politische Eliten. Das war nicht immer der Fall. In den 1980er-Jahren verteidigte der Front National und die italienischen Neo-Faschist*innen die europäische Integration, um sich vor dem wahren Feind zu schützen – der Sowjetunion.

Mit dem Ende des Kalten Kriegs und dem unterschriebenen Maastricht-Vertrag im Jahr 1992 änderten diese Parteien ihre Haltung von Pro-Europa zum Europaskeptizismus. Jetzt sind sie gegen die „Eurokrat*innen“ und ihre Welpen des nationalen, politischen Mainstreams. Das hat sich seitdem nicht mehr geändert.

In dieser Zeitleiste war der Brexit somit ein guter Ausweg – die erste große Chance. Marine Le Pen wollte sich von den traditionellen, rechtsextremen Diskursen entfernen zu einem mehr transversalen Populismus, den Artikel 50 wurde als der Grundlage der Probleme in Frankreich beschuldigt. Mit der Wirtschaftskrise hatte sie eine gute, argumentative Grundlage. Die auferzwungene Sparpolitik von Brüssel und die negative Auffassung mit dem Umgang der EU mit der Eurokrise, und der Flüchtlingskrise, das summiert erlaubte ein allgemeines anti-europäisches Gefühl. Somit forderte Marine Le Pen, sowie andere rechtsextreme Parteien die Unabhängigkeit von Brüssel. Das war ein Ausweg.

Zunächst stellten sie fest, dass ihre eigene Regierung die EU-Mitgliedschaft unter eine Volksabstimmung zu stellen müssten, genauso wie David Cameron es tat und als das Ergebnis des Referendums erschien, waren alle schnell dabei, dieses Resultat publik zu machen und verfolgten direkt die Ansicht, der UK auf diesem Weg folgen zu müssen.

In der französischen Parlamentswahl im Mai 2017 war Europa ein Schlüsselthema, das die zwei Kandidat*innen spaltete – Marine Le Pen und Emmanuel Macron. Macron gewann die Wahl nach einem schwachen Auftritt von Marine Le Pen, in dem sie ihre Meinung über die EU kundtat.

Als wenn das noch nicht genug war, David Cameron trat zurück, nachdem bekannt wurde, dass die britischen Bürger*innen sich mit einer knappen Mehrheit für den Austritt aus der EU entschieden hatten. Theresa May wurde die nächste Premierministerin, jedoch hatte sie Schwierigkeiten, ein kompetentes Kabinett aufzustellen. Diese Unsicherheit wirkte noch unvorteilhafter gegen die restlichen 27 EU-Mitgliedstaaten und gegen das Verhandlungsteam von Michel Barnier.

Es wurde noch schlimmer. Das britische Parlament lehnte einen verhandelten Deal ab, jedoch zogen sie es nicht in Erwägung, in der EU zu bleiben. Es schien ein Austritt ohne Austrittsvertrag bevorzustehen. Schlussendlich trat Theresa May zurück und wurde durch Boris Johnson ersetzt, der es schaffte, jede einzelne Wahl zu verlieren.

Daraus resultierte ein Anstieg des allgemeinen Vertrauens in die EU und der Wunsch, in der EU zu bleiben. Abgesehen von anderen Faktoren verhalf das Scheitern der Brit*innen über den Brexit zu entscheiden, zu einem verstärkten Wunsch der Rest-Europäer*innen, in der EU zu bleiben.

Die Vorbereitung für die Europawahl im Mai 2019

Im Januar 2019 hielt die AfD eine Hauptversammlung ab, um das Wahlprogramm für die Europawahl festzulegen. Bei dieser Versammlung empfohlen die Vorsitzenden, jegliche Erwähnung eines Dexits zu unterlassen aufgrund des negativen Bildes eines Brexits in Deutschland. Die Parteimitglieder stimmten dagegen. Am Ende wurde ein Kompromiss festgelegt, welcher besagte, dass eine Debatte über die EU-Mitgliedschaft auf eine spätere Zeit verschoben werden sollte. Sie würden sich zu diesem Zeitpunkt auf eine Reform der EU konzentrieren.

Die Italienische Lega, der französische Front National und die Schwedendemokraten verwarfen alle die Idee eines Austritts aus der EU. In 2014 und 2017 setzte sich Marine Le Pen für den Austritt aus der EU und der Eurozone, für die Wiedereinführung des Franc und gegen das Schengen-Abkommen ein. Im Jahr 2019 stand sie hingegen für etwas anderes ein.

In einer ziemlich langen Grundsatzrede stellte die nun als Rassemblement National bekannte Partei von Le Pen die „European Alliance of Nations“ vor, um die EU zu ersetzen, jedoch keinen Vorschlag, wie der Weg dahin auszusehen soll. Die anderen Parteien gingen nicht so weit, die Schwedendemokraten forderten eine Vertragsänderung und die Lega vermieden das Gesprächsthema Brüssel jenseits der Populistenkritik in der Form von„ungewählte Bürokraten“.

Obwohl der Rassemblement National damals sich für einen Austritt aus dem Euro aussprach, unterstützt sie nun eine Reform der europäischen Zentralbank für eine monetäre Stabilität. Diese Art von Reform könnte genauso gut unterstützt werden von einer zentristischen oder grünen Partei.

Die neue rechtsextreme Fraktion im Europaparlament setzt sich gegen eine weiterführende europäische Integration ein.

Was nun?

Rechte populistische Vorsitzende streben Macht an und Europa steht außerhalb ihrer Ideologien. Das fordert einen Grad an Flexibilität ein. Solange der Brexit ein gescheiterter Deal bleibt, der der Wirtschaft im Land schadet, können die Populist*innen nicht für diese Idee einstehen. Es ist somit besser, eine institutionelle Reform anzuvisieren und Gebrauch zu machen von den europäischen Institutionen, anstelle ein Anti-Einwanderungsprogramm zu fordern.

Das wäre möglich, falls die Vorsitzenden ihren vorgegebenen Weg einschlagen. Sind die Parteien jedoch demokratisch, dann ist die Grundeinstellung eher puristischer und sie würden den Austritt verteidigen. Es komme was wolle, und was auch die folgenden Wahlen an Ergebnissen liefern.

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