Wir in Europa: Stimmen aus Baden-Württemberg

, von  Julia Mayer

Wir in Europa: Stimmen aus Baden-Württemberg
Ob der Euro verbindet oder spaltet, zählte zu den Fragen, die diskutiert wurden.
Foto: Unsplash / lmelda / Creative Commons

Nimmt die Mitte der Gesellschaft die Wahl nicht ernst genug? Und droht ein Stimmenzuwachs populistischer Parteien? Fragen, die Europa in Atem halten. Die Antwort von treffpunkteuropa.de-Autorin Julia Mayer: Wir haben es in der Hand, über die weitere Entwicklung Europas zu bestimmen!

Am 08.04.2019 fand im Rahmen einer Kooperation des Ministeriums für Justiz und Europa sowie des europe direct-Zentrums eine Podiumsdiskussion in Stuttgart statt, die das Ziel hatte, das Projekt Europa aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Dazu eingeladen waren Frau Dr. Dahlbender (Landesvorsitzende des BUND BW), Herr Pavkovic (Leiter der Abteilung Integrationspolitik der Landeshauptstadt Stuttgart) und Herr Schneider (Präsident des Sparkassenverbands BW), die aus ihrer persönlichen und beruflichen Perspektive die Themen Umwelt, Integration sowie Wirtschaft und Finanzen näher beleuchteten. Die Gesprächsleitung übernahm die überzeugte Europäerin Hendrike Brenninkmeyer, vor allem bekannt durch Marktcheck und das Europamagazin. treffpunkteuropa.de-Autorin Julia Mayer war vor Ort.



Foto: Julia Mayer


Ist die EU alternativlos?

Dahlbender: Ja, die EU ist für die Entwicklung der Kulturen, der Umwelt und der Naturschutzpolitik unverzichtbar. Ein unvergessliches Erlebnis war für mich die Begegnung mit einer Deutschland sehr feindselig gegenüber stehenden Dorfgemeinschaft im Süden Frankreichs. In der Wirtschaftswunderzeit war ich mit dem Hass zwischen Völkern, basierend auf den Erfahrungen des 2. Weltkrieges konfrontiert. Das hat für mich mitausgelöst zu schwören, dass ich daran arbeiten möchte, dass das in unseren Ländern nie wieder vorkommt. Und dafür sind Europa und die EU unverzichtbar.

Ist die EU vor allem ein Friedensprojekt?

Schneider: Ja, fraglos. Wir jetzt in dieser Generation sind von einem großen Glück, nämlich dem Frieden beschienen. Dafür ist die EU evident.

Pavkovic: Europa als Friedensprojekt habe ich durch den Krieg auf dem Balkan erlebt. Wir haben dort gesehen, was es bedeutet, kein Regulativ zu haben.

Wirtschaftspolitisch gibt es aber eine Ambivalenz: Es herrscht ein Gefälle zwischen den südlichen Ländern und den westlichen und nördlichen Ländern in Bezug auf den wahrgenommenen Mehrwert von Europa.

Gefährdet diese Heterogenität Europa von innen heraus?

Pavkovic: Ich sehe nicht die kulturelle Heterogenität als Problem. Europa ist Vielfalt! Es gibt ebenso viele wirtschaftliche Vorteile durch den Euroraum. Aber in Bezug auf die soziale Ungleichheit der Lebensbedingungen sehe ich momentan, dass das Europa der nationalstaatlichen Interessen stärker ist als die solidarische Unterstützung für das politische europäische Projekt.

Schafft der Euro Verbindung oder spaltet er?

Schneider: Zunächst ist der Euro eine ganz entscheidende und verbindende Klammer für Europa. Auch für die Wirtschaft. Und Baden-Württemberg profitiert wie kaum ein anderes Land wirtschaftlich von Europa und vom Euro. Letzterer ist jedoch ein volkswirtschaftliches Experiment, wie wir es in der Wirtschaftsgeschichte noch nie gehabt haben. Man hat einen so großen Währungsraum geschaffen und ihn mit vertraglichen Grundlagen unterlegt. Man hat aber nicht gesagt, dass die ganze Finanz- und Währungspolitik auch nach Europa geht. Ich kritisiere, dass in etlichen Ländern die Währungs- und Stabilitätskriterien, die einfach unabdingbar für die Stabilität einer Währung auf der langen Achse sind, nicht konsequent eingehalten werden. An dieser Konsequenz hat es gefehlt.

Wenn wir aber jetzt national werden, dann marginalisieren wir. Wir sind als EU heute der größte Wirtschaftsraum. Das gibt es sonst nicht mehr - und wir haben weltweit mit die stärkste Wirtschaftsleistung. Wenn wir morgen in Nationalismen zurückfallen, dann glaubt doch keiner, wir könnten in der großen weltwirtschaftlichen Entwicklung auch nur irgendeine Rolle spielen. Und wir haben wirtschaftspolitisch mit dem Euro ein ganz klares Plus, das größer ist als all die negativen Wirkungen, die manche zu Recht kritisieren.

In welchen Bereichen ist die EU in der Umweltpolitik unverzichtbar?

Dahlbender: Die EU ist in fast allen Bereichen unverzichtbar. Mittlerweile wird über 80% unserer Klima-, Umwelt- und Naturschutzgesetzgebung von der EU bestimmt. Die EU-Gesetzgebung liegt somit deutlich über der nationalen. Sie macht Vorgaben und wir müssen diese national einsortieren und schauen, wie wir sie umsetzen. All das bekommen wir nur hin, wenn die EU Vorgaben macht, an die sich alle halten müssen. Ich glaube, niemand hat ein Problem damit, was die EU macht. Das Problem liegt darin, was daraus gemacht, wie es kontrolliert und wie damit umgangen wird. Ein national gemachtes Gesetz würde aber für die Lösung dieser nationenübergreifenden Probleme nichts nützen.

Es gibt jedoch Ungleichheiten in dem, was die EU macht. In Teilen der Agrar- und Landwirtschaftsförderung sind die Regelungen fatal, weil sie zu sehr die Agrarwirtschaft in der Fläche fördern und nicht an ökologische Bedingungen oder Gemeinwohlaufgaben gebunden sind. Hier ist die EU überreglementiert. Da fehlt der Bezug der EU-Beamten zur Bevölkerung. Die Einflussnahme der Lobbyist*innen ist auf EU-Ebene so hoch wie nirgendwo sonst. Für mich ist immer da die Grenze überschritten, wo nicht mehr die Perspektive der Gesellschaft und deren Ziele eine Rolle spielen, sondern es nur um den eigenen finanziellen Vorteil geht. Wenn es so weit geht, dass der Lobbyismus so stark ist, dass die Gesetze von ihm vorgegeben werden und die Kontrolle durch die Gesellschaft fehlt.

Mehr Macht dem Parlament?

Dahlbender: Das ist einer der Schritte, die jetzt erfolgen müssen. Ich rede nicht darüber, ob die EU notwendig ist oder nicht. Ich möchte, dass sie bleibt, und ich möchte sie qualitativ verbessern - und dazu gehört, dass das Parlament mehr Gesetzgebungskompetenz und Mitspracherechte bekommt, somit eigenständiger wird. Dazu gehört eine aktive Bürgerschaft; wir brauchen eine Demokratisierung der EU.

Schneider: Auf kommunaler Ebene hat man noch großen Einfluss auf die Politik, auf Landesebene kennt man den ein oder anderen, der Bund ist schon weiter weg und die EU ist natürlich ganz weit weg. Da ist Bürokratie nur schwer kontrollierbar. Das Parlament funktioniert eigentlich sehr gut, es funktioniert sehr schnell und sehr tiefgründig. Die Abgeordneten sind auch sehr sachkundig, über alle Parteien hinweg. Da die Parteien keine Regierung tragen müssen, sind sie viel sachorientierter. Die Kommission ist ganz anders. Die Gesetzeswerke sind so umfangreich, dass die selbst Spezialist*innen nicht mehr lesen können, die Bürger*innen somit auf keinen Fall. Den Regelungsumfang versteht keiner mehr. Die Kommission ist ein riesiger Apparat mit einer enormen Machtfülle, der vom Parlament nur bedingt kontrolliert werden kann. Auch wenn es deutsche Mitarbeiter*innen in der Kommission gibt, bedeutet das nicht, dass sie die deutsche Interessenlage vertreten. Die nationale Sichtweise wird da ganz schnell abgelegt und auf die gesamteuropäische Ebene abgehoben.

Für mich ist die Zusammenarbeit in den europäischen Institutionen und mit der Kommission das größte Problem. Ich glaube, dass auch dort die Bürger*innenkritik ansetzt. Jeder hat seine eigenen Erfahrungen und findet die Gesetze dann sehr abgehoben, bürokratisch, weit weg und unerreichbar. Ich würde mir ein stärkeres Parlament und damit auch eine stärkere Europawahlbeteiligung wünschen.

Dahlbender: Die Kommission regelt die Sachen meist zu detailliert. Ich denke so ein Konstrukt wie die Europäische Kommission muss es aber tatsächlich geben. Unabhängig davon muss jedoch das Parlament gestärkt werden. Es muss in die Lage versetzt werden, der Kommission die wichtigen Eckpunkte aufzuzeigen. Das Parlament benötigt mehr Kompetenzen.


Kommentar der Autorin

Europa ist ein einziges großes Friedensprojekt. Ich denke, das ist ein wunderbares Fundament und eine große Basis, auf die man alles Mögliche bauen kann. Die Funktion Europas als Grundlage sollte aber nicht in Vergessenheit geraten. Europa ist daneben ein Raum der Freizügigkeit, in dem wir über Ländergrenzen hinweg uns frei bewegen und handeln können. Das ermöglicht es erst, Probleme mit grenzüberschreitendem Ausmaß zu lösen.

Ich unterstütze die These, dass es dem Parlament an Macht fehlt. Das führt dazu, dass die Bürger*innen sich nur unzureichend von dieser Institution vertreten fühlen. Der Einfluss sollte größer werden. Mit steigendem Einfluss würde wahrscheinlich ebenso die Wahlbeteiligung steigen.

Die Kommission hingegen muss einer besseren Kontrolle ausgesetzt werden. Die Gesetzeswerke sind sehr umfangreich, sodass sie für Bürger*innen nicht verständlich sind und daher abgehoben und undurchdringbar wirken. Hier muss angesetzt werden und an der Verständlichkeit und Transparenz der Prozesse und Ergebnisse gearbeitet werden. Nachverfolgbar sollte zudem sein, wer wie an einem Gesetzesentwurf mitgewirkt hat.

In Bezug auf den Euroskeptismus sollten wir nicht allzu sehr die negativen Seiten betrachten, sondern zurückblicken auf die Geschichte des Euros und seine Vorteile wertschätzen. Das, was man hat, schätzt man oft nicht richtig: Erst wenn es fehlt, merkt man, dass es gut war! Wir sollten also gemeinsam agieren, die Möglichkeiten, die der Euroraum uns bietet, schätzen und unsere Beziehungen untereinander stärken.

Fragt euch selbst: Welche Geschichte verbindet uns? Und wie soll es mit dieser weitergehen?


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