„Wir sind der größte Demokratieverbund der Welt“

, von  Hannah Illing

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„Wir sind der größte Demokratieverbund der Welt“
Das Europäische Parlament in Straßburg. Foto: European Parliament/ Flickr / CC BY-NC-ND 2.0 Lizenz

Meinungsumfragen sagen für die Wahlen zum Europäischen Parlament diesen Mai einen Zuwachs anti-europäischer Parteien voraus. Peter Bauch, Büroleiter im Bundestag unter Helmut Kohl, erklärt im Gespräch mit treffpunkteuropa.de, warum junge Europäer*innen auf jeden Fall zur Wahl gehen sollten.

treffpunkteuropa.de: Worin liegt Ihrer Meinung nach der Ursprung des Projekts Europa?

Peter Bauch: Die schlimmen Kriegserfahrungen mit Millionen von Toten stärkten den Wunsch nach mehr Zusammenhalt zwischen den europäischen Völkern und Nationen, vor allem in der Mitte Europas. Schon nach dem Ersten Weltkrieg formierte sich in Österreich die Paneuropa-Bewegung, die für ein geeintes, demokratisches und friedliches Europa eintritt. Auf Regierungsseite gab es dafür aber noch zu wenig Unterstützung. Nach dem Zweiten Weltkrieg griffen wichtige Staatsmänner westeuropäischer Länder und Italiens diesen Ansatz endlich auf und setzten Stück für Stück den europäischen Einigungsprozess in Gang. Frankreich spielte dabei eine zentrale Rolle und setzte sich nachdrücklich für eine deutsche Beteiligung von der Gründung an ein, also Einbindung statt Ausgrenzung. Welch ein Unterschied zur französischen Deutschlandpolitik nach dem Ersten Weltkrieg!

Was ist die Europäische Union für Sie: Wirtschaftsunion, Werteunion oder politische Union?

Der europäische Einigungsprozess ist das zentrale politische Projekt zur dauerhaften Befriedung unter ihren Mitgliedern sowie zur Stärkung der Zusammenarbeit auf der Basis grundlegender gemeinsamer Werte. Dabei wurde die wirtschaftliche Verflechtung von Anfang an als Mittel zum Zweck eingesetzt. Die EU ist damit vor allem Friedensraum und Werteunion mit dem Willen zu gemeinsamer Gestaltung. Wir haben nicht nur die längste Friedensperiode in West- und Mitteleuropa, wir sind auch größte Demokratieverbund der Welt! Der gemeinsame Markt hat zu einer historisch beispiellosen Verbindung der nationalen Wirtschaftsräume geführt und erhebliches Wachstum und spürbaren Wohlstand gebracht. Dadurch wurde die Akzeptanz des europäischen Weges bei den Bürger*innen deutlich gestärkt. Das Ziel einer immer enger werdenden Politischen Union wurde nach dem Mauerfall von den damals 12 Mitgliedsstaaten formuliert, spielt aber in der aktuellen Lage leider keine Rolle. Jetzt kommt es darauf an, den Zusammenhalt unter den künftig 27 EU-Staaten zu erhalten und zu stärken. Eine schwierige Aufgabe in einer immer unruhiger werdenden Zeit.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der deutsch-französische Beziehungen bis heute?

Die deutsch-französischen Beziehungen waren und sind für den europäischen Einigungsprozess von herausragender Bedeutung. Frankreich und Deutschland waren über Jahrzehnte der Motor und Inspirator für die Ausgestaltung des europäischen Einigungsprozesses. Besonders gut für Europa lief es, wenn sich die politischen Führungen beider Länder gut verstanden haben. Dies war zum Beispiel in der Anfangszeit so und auch in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Wir erleben derzeit gerade wieder, wie Macron und Merkel versuchen, das deutsch-französiche Verhältnis zu stärken und auch Europa einen neuen Schub zu geben. Das sehe ich sehr positiv. Allerdings ist klar, dass in einer EU mit mehr als 25 Mitgliedern das Gewicht dieser beiden Länder heute geringer ist als in der Vergangenheit.

Wie stehen Sie zu einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“?

Das sehe ich positiv und es kann für Europa noch an Bedeutung gewinnen. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ist ein zentrales Mittel gegen den Stillstand! Eine Teilmenge von Staaten kann sich für neue Projekte entscheiden und diese umsetzen. So etwas gibt es ja schon lange! Nicht alle Mitgliedsstaaten sind bei Schengen dabei, nur 19 EU-Länder haben den Euro. Derzeit beginnen neue Projekte im Verteidigungsbereich und auch da ist zu beobachten, dass nicht alle EU-Staaten von Anfang an dabei sind. Entscheidend ist, dass der Zugang der von einem Teil der EU-Staaten begonnenen neuen Projekte für die anderen EU-Länder offen bleibt und so die Perspektive eines immer größer werdenden Teilnehmerkreises weiter besteht.

Müssen wir jungen Europäer*innen für Europa kämpfen und wenn ja, wie?

Europa ist kein Selbstläufer! Große Teile der jungen Generation halten einen friedlichen demokratischen europäischen Raum mit offenen Grenzen für selbstverständlich – das ist eine gewaltige Fehleinschätzung! Wir sehen derzeit eine steigende Anzahl von politischen Gruppierungen, die die gemeinsamen Grundlagen unseres europäischen Hauses angreifen und beseitigen wollen. Populisten und Nationalisten setzen Europa unter Druck. Wir brauchen daher dringend auch bei uns mehr junge Menschen, die die Grundlagen unseres Europas nicht nur kennen und schätzen, sondern die auch positiv und motiviert darüber reden. Daher sind Gruppen wie die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) so wichtig. Auch der Pulse of Europe macht gute Arbeit, weil er positive Aspekte unseres Europas benennt. Wir brauchen mehr deutliche Unterstützung von jungen Menschen für unser Europa und wir brauchen auch eine stärkere Wahlbeteiligung. Europa ist keine Nebensache!

Wie würden Sie Europäer*innen überzeugen, im Mai für das Europäische Parlament wählen zu gehen?

Wer mit den Grundlagen unseres Europas zufrieden ist, der sollte unbedingt zur Wahl gehen und sein Kreuz bei den Parteien machen, die auch weiterhin gemeinsam in Europa nach einer besseren Zukunft suchen wollen. Dies ist auch ein Zeichen der Ermutigung für diejenigen, die sich stetig für unser gemeinsames Europa einsetzen. Es geht um eine Richtungswahl! Europa steht von innen und von außen unter Druck. Wenn Europa schwächer wird oder zerfällt, dann besteht die reale Gefahr, dass die europäischen Nationen zwischen autokratischen Mächten wie Rußland, der Türkei oder China aufgerieben werden und sowohl politisch als auch wirtschaftlich an Einfluß verlieren. Unterstützung zeigen für unser gemeinsames Europa – das ist die Aufgabe, der gerade auch junge Leute motiviert folgen sollten. Also, auf geht’s zur Wahl!

Zur Person:

Peter Bauch arbeitete von 1990 bis 2002 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Büroleiter im Deutschen Bundestag im Bereich Außen-,Verteidigungs- und Europapolitik. Seit 2002 ist er als freier Dozent und Berater zu Europathemen sowie zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen tätig. Einige Jahre lang war er zudem Mitglied im Rednerteam der EU-Kommission.
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