Zwischen Flucht und Fachkräftemangel: So wird der deutsche Arbeitsmarkt für Geflüchtete zur Herausforderung

, von  Claudia Bothe , Nele Aulbert

Zwischen Flucht und Fachkräftemangel: So wird der deutsche Arbeitsmarkt für Geflüchtete zur Herausforderung
Warten auf die Arbeitserlaubnis - für Geflüchtete und Migrant*innen ist es oft ein langer Weg bis auf den deutschen Arbeitsmarkt Foto: Unsplash / Levi Jones / Lizenz

Geflüchtete Menschen und Migrant*innen sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt oft mit vielen rechtlichen Hürden und sozialen Vorurteilen konfrontiert. Für die EU steht vor allem der Fachkräftemangel im Vordergrund. Daher hat sie sich zum Ziel gesetzt, legale Arbeitskräftemigration zu erleichtern. Bis Ende Januar 2022 soll die Kommission Vorschläge zur legalen Arbeitskräftemigration vorlegen, darunter auch der Abbau von Bürokratie. Geflüchtete kommen jedoch nicht in erster Linie, um eine neue Arbeit zu finden, sondern um Schutz und Asyl zu erhalten. Doch Asyl und Arbeitsmigration funktionieren nach unterschiedlichen Logiken.

Als Europäer*innen ist es leicht, überall in der EU zu arbeiten. Eine andere Welt eröffnet sich jedoch den Menschen, die in der EU einen Asylantrag aufgrund von beispielsweise Fluchthintergrund stellen - 2020 waren dies 472 000 Personen. Geflüchteten Menschen müssen viele rechtliche Herausforderungen überwinden, wenn sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen. Anya Lean, Fachanwältin für Migrationsrecht in Berlin, sieht eine der größten Hürden in dem Beschäftigungsverbot nach Asylgesetz §61. Dieses besagt, dass Personen während des Asylverfahrens oder mit einer Duldung, also einem abgelehnten Asylantrag, nicht in Deutschland erwerbstätig sein dürfen. Wie lange dieses Beschäftigungsverbot gilt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem davon, ob das Herkunftsland der Asylsuchenden in Deutschland als sicher eingestuft wird oder nicht.

Geflüchteten aus „sicheren Herkunftsstaaten“ wird zunächst ein Beschäftigungsverbot erteilt

Die Hürden der Bürokratie

Laut Lean gehe das Beschäftigungsverbot oft mit geringeren Sozialleistungen einher und dränge Geflüchtete leicht in illegale Arbeitsverhältnisse. Dies erhöhe wiederum das Risiko für die Verletzung von Arbeiter*innenrechten. “Für Personen im Asylverfahren verstehe ich überhaupt nicht, warum das Beschäftigungsverbot besteht - das macht aus meiner Sicht keinen Sinn.” Bei geduldeten Personen sei die vermutete Legitimierung des Verbots die Sanktion, also die Bestrafung der Person, die nach den Auflagen der Ausländer*innenbehörde nicht ausreichend kooperiere. “Aber vor allem geht es um Abschreckung”, sagt Lean. “Die Integration soll schlichtweg verhindert werden. Menschen soll es durch das Beschäftigungsverbot von Beginn an erschwert werden, in Deutschland Fuß zu fassen.”

Auch Dr. Barbara Weiser, Juristin beim Caritasverband für die Diözese Osnabrück, bestätigt diese Vermutung: “Die Bereitschaft zur Ausreise beziehungsweise die Abschiebung von Geflüchteten, deren Asylantrag nicht erfolgreich war, soll durch die Verhinderung von Integration ‘gefördert’ werden.” Es werde wohl angenommen, dass Menschen, die in Deutschland einer Arbeit nachgehen und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, weniger bereit sein werden, ihre Ausreise voranzutreiben. „Das soll vor allem durch die Arbeitsverbote in der ersten Zeit nach der Einreise, wegen fehlender Mitwirkung bei der Passbeschaffung sowie für Menschen aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten verhindert werden.“

Laut Weiser sollten aus rechtlichen und politischen Gründen alle Arbeitsverbote abgeschafft werden: “Ein generelles Arbeitsverbot verstößt gegen die Menschenwürde, da es zu einem in jeder Hinsicht unbefriedigenden Nichtstun zwingt.” Zum anderen stehe das Verbot bei Asylsuchenden nicht im Einklang mit der Einräumung eines effektiven Arbeitsmarktzugangs nach spätestens neun Monaten, wie ihn Artikel 15 der EU-Aufnahmerichtlinie vorsieht.

Sprachbarrieren führen zu Frust

Auch wenn Schutzberechtigte eine Beschäftigungserlaubnis erhalten haben, birgt die deutsche Arbeitsmarktintegration weitere Herausforderungen. Anya Lean sieht die Gründe hier vor allem in der Sprachbarriere und dem Rechtssystem. Diese Erfahrung hat auch Francis Somarriba machen müssen. Sie ist Ärztin und kommt aus Nicaragua. Momentan steckt sie mitten im Anerkennungsverfahren ihrer Qualifikationen: “Das größte Problem ist die Sprachbarriere, da meine Muttersprache Spanisch ist. Ich habe gemerkt, dass sich die Ausbildung zur Ärztin in Lateinamerika und in Deutschland unterscheidet. Das macht es schwierig für mich, meine Situation und Vorkenntnisse zu erklären.”

Oft stelle das Fehlen der für die jeweilige Berufsausübung erforderlichen Deutschkenntnisse eine Hürde dar, besonders wenn Sprachkenntnisse Teil der Anerkennungsvoraussetzung seien, erklärt die Juristin Barbara Weiser. Generell wäre es hilfreich, wenn alle Geflüchteten statusunabhängig von Anfang an Zugang zu Deutschkursen hätten.“ Darüber hinaus müssten Verfahren zur Feststellung beruflicher Kompetenzen ausgebaut und der Übergang in das deutsche Ausbildungs- und Qualifizierungssystem verbessert werden.

Francis habe oft das Gefühl gehabt, die deutsche Bürokratie nicht bewältigen zu können. “Als eine Ausländerin in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache, da sind diese formalen Prozesse oft sehr schwierig und frustrierend für mich. Einige Mitarbeiter*innen in den Behörden waren sehr unfreundlich zu mir.” Gerade in dieser Situation hätte sie sich eine Ansprechperson mit ähnlichem Hintergrund gewünscht, die ihre Sprache spreche und helfen könne, die einzelnen Schritte der Behördengänge besser zu verstehen.

Geflüchteten Frauen mangelt es nicht an Qualifikationen, sondern an Chancen

Gerade geflüchtete Frauen sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt vielen Vorurteilen ausgesetzt, besonders wenn sie Musliminnen sind und Kopftuch tragen. Viele Geflüchtete wünschen sich, an den Beruf aus ihrem Heimatland anzuknüpfen und auch in Deutschland wieder als Lehrerin, Ärztin oder Anwältin zu arbeiten. Häufig mangelt es geflüchteten Frauen daher nicht an Qualifikationen, sondern an Chancen.

“Geflüchtete Frauen sind unglaublich motiviert in Deutschland wieder erwerbstätig zu sein und statistisch gesehen sind sie nicht schlechter ausgebildet als Männer. Trotzdem sind sie in Deutschland derart schlecht in den Arbeitsmarkt integriert“, erklärt Dr. Katrin Menke. Sie ist Soziologin an der Uni Duisburg-Essen und forscht zum Thema Migration und Sozialpolitik. Tatsächlich sind nur 45% der geflüchteten Frauen in Europa erwerbstätig. Der Anteil der männlichen Geflüchteten liegt mit 62% dagegen deutlich höher. Doch woran liegt das?

Der Grund dafür, so Menke, sei keineswegs mangelndes Humankapital geflüchteter Frauen. Vielmehr liege das Hauptproblem bei der Arbeitsmarktintegration hier in Deutschland und den Chancen, die geflüchteten Menschen auf dem deutschen Arbeitsmarkt eröffnet oder eben verwehrt bleiben. Diese Erfahrung musste auch Ahed machen.

Mehr als 50 Bewerbungen und kein Vorstellungsgespräch

Ahed Alkhaled ist 28 und hat in Syrien Psychologie studiert. Dann musste sie fliehen, bevor sie ihr Studium hat beenden können. Daraufhin arbeitete sie zwei Jahre als Arzthelferin im Libanon. 2015 kam die Muslimin dann nach Deutschland, gemeinsam mit ihren zwei Kindern.

Doch eine Ausbildung in Deutschland zu finden, war nicht leicht. „Als ich eine Ausbildung als Arzthelferin gesucht habe, habe ich viele Bewerbungen geschrieben, mit Lebenslauf und Foto. Ich habe mindestens 50 Bewerbungen verschickt. Ich habe immer Absagen oder keine Antworten bekommen.“ Irgendwann gab ihr eine andere Migrantin den Rat: „Wenn du einen Ausbildungsplatz bekommen möchtest, dann solltest du einfach deine Bewerbung ohne Foto schicken.“

Diese Erfahrung verstärken bei Ahed das Gefühl, dass Absagen oder fehlende Reaktionen auf Bewerbungen mit ihrem Kopftuch zusammenhängen. Dr. Katrin Menke hat im Rahmen ihrer Forschung zur Arbeitsmarktteilhabe geflüchteter Frauen festgestellt, dass insbesondere Musliminnen, die Kopftuch tragen, mit Diskriminierungen in Deutschland konfrontiert sind.

In den Jobcentern bestehe zwar durchaus ein Bewusstsein, dass es auf dem deutschen Arbeitsmarkt Rassismus gibt, so Menke. Gleichzeitig führe das aber teilweise zu einer problematischen Haltung gegenüber geflüchteten Frauen:

Soziologin Dr. Katrin Menke über Arbeitsmarktteilhabe geflüchteter Frauen

Geht es um Kompetenz oder Kopftuch?

Geflüchtete Frauen würden in den Behörden oft gar nicht als potentielle Erwerbstätige wahrgenommen und können dadurch in viel traditionellere Rollenbilder gedrängt werden als in ihrem Herkunftsland, erklärt Dr. Menke. „Das steht im Widerspruch dazu, dass viele in Behörden und Mehrheitsgesellschaft oft annehmen, dass Frauen nach ihrer Flucht in Deutschland ein viel offeneres, emanzipativeres Leben führen könnten. Dass sie die hiesigen Strukturen davon abhalten, mögen viele kaum glauben.“ Besonders geflüchtete Frauen sind daher häufig mit unterschiedlichen Formen von Diskriminierung gleichzeitig konfrontiert: einerseits ihr Migrationshintergrund, andererseits ihr Geschlecht und wie in Aheds Fall auch ihre Religion.

“Einmal hat ein arabischer Arzt zu mir gesagt, wenn ich bei ihm eine Ausbildung machen will, muss ich mein Kopftuch ablegen”, berichtete Ahed. “Er sagte, das hängt nicht von ihm ab, sondern von seinen Patienten, weil sie nicht gerne von fremden Frauen behandelt werden. Wenn sie zur Praxis kommen und die Frau trägt ein Kopftuch, dann ist das für die Patienten unangenehm.“

Ahed wünscht sich, dass andere Menschen den Versuch machen würden, mit ihr zu sprechen und ihr eine Chance geben. Es sollte nicht darum gehen, wie Ahed aussieht oder ob sie ein Kopftuch trägt, sondern um ihre Qualifikationen und wie gut sie für diese Stelle geeignet ist. Doch die Chance sich in der Praxis zu bewähren, wurde ihr oft gar nicht erst ermöglicht.

Ahed hat daher beschlossen, dass es keinen Sinn macht, weiter eine Ausbildung zu suchen. Inzwischen studiert Ahed im ersten Semester Soziale Arbeit an der HAW in Hamburg. „Die Mitmenschen... sie müssen uns nicht lieben, aber sie sollen uns nicht hassen. Ich wünsche mir, dass sie ein kleines Gespräch mit uns führen, damit sie erfahren: Ich bin nicht kriminell. Ich bin auch einfach nur ein Mensch.“

“Deutschland ist kein migrationsfreundliches Land”

Die diskriminierenden Erfahrungen, die Ahed bei der Ausbildungssuche machen musste, waren zwar meist eher indirekt, aber dennoch sehr real. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erkennt an, “dass das Kopftuch überwiegend als unerwünscht oder sogar als unvereinbar mit Berufstätigkeit gilt.” Die Fachanwältin für Migrationsrecht, Anya Lean, überrascht das wenig, denn unsere Gesellschaft verstehe sich nicht als Einwanderungsgesellschaft. „Deutschland ist kein migrationsfreundliches Land”, erklärt Lean. “Vielleicht wird sich das ändern, aber in jedem Fall wird es ein langer Weg.“

Doch was kann die EU auf politischem Wege tun, um Menschen wie Ahed und Francis den Weg ins Berufsleben zu ebnen?

Die Rolle der EU: Wie kann der Arbeitsmarkt verbessert werden?

Anya Lean sieht die wichtigste Stellschraube für eine Veränderung in der Arbeitsmarktintegration auf nationaler Ebene, nicht auf EU-Ebene - die Abschaffung der Verbote sieht sie als wichtigen Wendepunkt.

Die Soziologin Dr. Katrin Menke wiederum empfindet eine EU-Migrationspolitik auf nationalstaatlicher Ebene eher als Blockade. Sie schlägt vor, die Kommunen als eigenständige Akteur*innen in der Integrationspolitik zu sehen, damit diese sich über Ländergrenzen hinweg für Fördergelder der EU einsetzen können. Dabei verweist sie auf das Beispiel des Bündnisses “Städte Sicherer Hafen” - eine Bewegung, in der sich Kommunen in Europa dazu bekennen, mehr geflüchtete Menschen aufnehmen zu können als ihnen laut Vorschriften, wie dem Königsteiner Schlüssel in Deutchland, zugewiesen wurden.

“Im Bündnis ‘Städte Sicherer Hafen’ beteiligen sich auch Städte in Polen, obwohl sich Polen als Nationalstaat der Aufnahme von Geflüchteten komplett verschließt. Über die kommunale Ebene mit EU-Förderung könnte man dann trotzdem Geflüchtete in die polnischen Städte zuweisen”, so Menke. Wie dies auf EU-Ebene verhandelt werden könnte, steht allerdings noch offen.

Außerdem müsse für eine bessere Arbeitsmarktintegration die EU als einheitlicher Arbeitsmarkt für Geflüchtete fungieren. So wie Europäer*innen über Grenzen hinweg wählen können, wo sie leben und arbeiten, sollte dies auch für Geflüchtete möglich sein.

“Es ist noch viel zu tun, damit sich Europa als ein Europa ohne innere Grenzen versteht. Derzeit ist der politische Diskurs eher, dass sich Europäer*innen gegenüber Drittstaatler*innen behaupten müssen”, findet Menke.

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