Ein politisches System, das für Machtlosigkeit bestimmt ist
Bosnien und Herzegowina wird insbesondere als das Theater des blutigen Bürgerkrieges zwischen 1992 und 1995 bezeichnet, kurz nach seiner Unabhängigkeit von Jugoslawien. Drei Jahre lang trafen die größten ethnischen Gruppen des Landes zusammen: Bosniaken (ehemals Muslime), Serben und Kroaten.
Das Ende des Bürgerkrieges wurde durch das Dayton-Friedensabkommen besiegelt. Unter der Überschrift einer gerechten Machtverteilung zwischen den drei Ethnien haben diese Abkommen jedoch in Wirklichkeit das Land in zwei „Entitäten“ gespaltet, die fast unabhängig voneinander sind. Die eine stellt die Serbische Republik dar, extrem zentralisiert und von einer serbischen Mehrheit geprägt, während die andere eine kroatisch-bosnische Föderation ist, aufgeteilt in zehn Kantone, zu denen außerdem das Sonderverwaltungsgebiet Brčko gehört. Höchstes Staatsorgan in Bosnien und Herzegowina ist das dreiköpfige Staatspräsidium, bestehend jeweils aus einem Vertreter der drei ethnischen Gruppen.
Dieses erste Schaubild zeigt auf Anhieb, dass die administrative und politische Komplexität stärker ins Gewicht fällt als etwaige Bestrebungen um die Wirksamkeit guter Regierungsführung. Vor diesem Hintergrund wurden am vergangenen 12. Oktober über drei Millionen Bosnier zur Wahl aufgerufen.
Wahlen ohne Herausforderungen?
Die Wahl ist einige Monate nach der Zeit sozialer Unruhen, die das Land im vergangenen Februar trafen, zustande gekommen. Eine Welle von Aufruhr und Demonstrationen begann in Tuzla und erstreckte sich über zahlreiche andere Städte in der Föderation. Die Protestbewegungen sind schrittweise abgeklungen, die Aussichtslosigkeit hält weiterhin die Wut.
Die Wahlergebnisse ließen kaum Raum für Optimismus. Die Beteiligung lag bei etwa 54 Prozent. Das sind 2 Prozent weniger als bei den Parlamentswahlen 2010. Die Kampagne war zudem durch einige Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet: So hätten viele Wahllokale erst verspätet geöffnet. Ein Teil des Wahlmaterials konnte nicht zugestellt werden und einige Wähler berichteten, sie seien beim Wählen unter Druck gesetzt worden.
Ersten Analysen zufolge hätte der Front der Nationalisten einen relativen Sieg verzeichnet. Ein Machtwechsel sei zwar theoretisch möglich, letztendlich hat es jedoch keine neue politische Macht tatsächlich erreicht, die Lage überraschend zu ändern.
Als Wahlsieger konnten sich die bosnische Partei der Demokratischen Aktion (SDA) und die Kroatische Demokratische Union (HDZ) behaupten. Die seit 2010 regierende sozialdemokratische Partei ist eingebrochen, nachdem sie unter einem großen Vertrauensverlust bei den Wählern litt. In der Serbischen Republik hat die regierende Partei der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD), die von Präsident Milorad Dodik geleitet wird, ebenfalls enttäuschende Zahlen hervorgebracht. Wenn Dodik weiterhin im Amt bleibt, verliert seine Partei sowohl die Parlamentsmehrheit als auch den serbischen Vertreter im Staatspräsidium.
Dennoch sind solche Ergebnisse trügerisch, denn die Herausforderungen im bosnischen politischen Wettbewerb sind teils unabhängig von den Wahlergebnissen. In der Tat hat die Fülle der landesweiten Institutionen und Regierungen zu einem verstärkten Klientelismus geführt. Dieser garantiert wiederum allen Parteien, dass sie mindestens in einer der politischen Institutionen führend sind. Weitreichende politische Entscheidungen können folglich nur getroffen werden, wenn ein außerordentlich breiter politscher Konsens besteht.
Die neuen Bündnisse, die aus dieser politischen Situation entstehen können, werden nicht in der Lage sein, die für das Land notwendigen Reformen in die Wege zu leiten.
Die eindeutige Notwendigkeit einer neuen politischen und wirtschaftlichen Lage
Bosnien leidet heute unter einer Arbeitslosenquote von offiziell 30 Prozent, obwohl die tatsächliche Quote wahrscheinlich weitaus höher liegt. Das Land ist einem ungeheuerlichen Mangel an Infrastruktur ausgesetzt, die Korruption weitet sich aus und die vagen Hoffnungen der Bevölkerung auf einen EU-Beitritt sind nicht mehr glaubwürdig. Neben dieser ohnehin schon problematischen Lage ist Bosnien und Herzegowina im vergangenen Mai von schweren Überflutungen getroffen worden, deren Folgen die Regierung noch immer nicht völlig unter Kontrolle hat. Trotz der vielen Versprechungen, die jede Wahl mitgebracht hat, scheint der Volksglaube in der Fähigkeit der Politik, diesen Herausforderungen die Stirn zu bieten, vollkommen zu verschwinden.
Bosnien war im Rahmen der hundertjährigen Gedenkfeier des Ersten Weltkrieges von einer außergewöhnlichen medialen Aufmerksamkeit begleitet worden. Nun gelingt es dem Land jedoch kaum, das Interesse bei europäischen Beobachtern zu wecken. Für eines der ärmsten und am schlechtesten regierten Länder Europas wäre eine verstärkte Aufmerksamkeit dennoch wünschenswert.
Kommentare verfolgen: |