Von Literatur und Landkarten

Die Buchempfehlungen der Redaktion

, von  Louis Friedrich

Von Literatur und Landkarten
Bild: treffpunkteuropa.de

Manchmal reicht ein Stück Papier, um die Orientierung wiederzufinden. Doch hierbei soll es nicht um Landkarten und Schatzsuchen gehen, sondern eher um Navigation im übertragenen Sinn. Und so fragen wir uns: Was können Bücher mit uns machen?

In der Sommerpause sind unsere Redaktionsmitglieder in sich gegangen und haben für euch Werke ausgewählt, von denen sie über die Welt und das Leben gelernt haben. Die Buchempfehlungen der Redaktion findet ihr hier.

Claudia empfiehlt:

Streulicht von Deniz Ohde

Die Protagonistin wächst in den späten 90ern nahe eines Industrieparks am Rande Frankfurts auf. Ihre Kindheit und Jugend sind geprägt von Armut, Ausgrenzung und einem kaputten Elternhaus. Den Alltag durchlebt die Protagonistin in ständiger Alarmbereitschaft: ob tägliche Diskriminierungen auf der Straße oder der betrunkene Vater zuhause. In ihrem Roman zeigt Deniz Ohde, wo sich die Grenzen und Abgründe unserer Gesellschaft auftun: Die Kluft zwischen dem Bildungsversprechen für alle und der Realität der sozialer Ungleichheiten.

Nicht nur ist das Buch großartig geschrieben, auch regt es zum Nachdenken an, über Privilegien und Ungerechtigkeiten die man selber oder anderer erfahren. Gleichzeitig begleitet man die Protagonistin dabei, wie sie sich über einige Umwege und Schleifen, Stück für Stück aus dem Leben neben dem Industriepark herauszuarbeiten versucht. Das Buch erzählt davon, wie es ist, wenn man die Freund*innen den Abschluss machen und weiterziehen sieht, während man selber auf der Stelle tritt und die Prüfung wiederholen muss. Es gibt aber auch Mut seinen Weg im eigenen Tempo zu gehen, sich nicht entmutigen zu lassen, wenn nicht alles beim ersten Anlauf klappt und, dass es nie zu spät ist für einen zweiten Anlauf.


Louis empfiehlt:

Siddhartha von Herrmann Hesse

Hermann Hesse hat wohl sein Leben lang Sinn und Selbst erforscht und beweist mit seinem Werk, dass die Suche immer weiter geht. Mit Siddartha hat er einen Bildungsroman geschrieben, der sich Spiritualität und Selbstfindung in einer Sprache widmet, die gleichzeitig poetisch und erfrischend klar ist. Der junge Brahmane Siddartha, Protagonist der Dichtung, wird auf der Sinnsuche erst genügsamer Asket, verschwenderischer Lebemann dann liebender Vater und letztlich einfacher Fährmann. Hesse hat mit Siddhartha "einen Buddha erschaffen, der den allgemein anerkannten Buddha übertrifft”.


Moritz empfiehlt:

A Little Life von Hanya Yanagihara

Der Roman Ein wenig Leben der US-amerikanischen Autorin Hanya Yanagihara ist nichts für schwache Nerven, und ich hätte mir vor Beginn wahrscheinlich einen Warnhinweis gewünscht: Denn auf 814 Seiten (!) erzählt die Autorin die Geschichte eines zwanghaften, teils fürchterlichen, Lebens mit all seinen sehr detaillierten Facetten. Was mit dem Einblick in den College-Alltag einer Freundesgruppe startet, dehnt sich zur Erzählung des kompletten Lebens aus, vor allem das von Jude, der mit Schicksalsschlag nach Schickschalsschlag konfrontiert, den Sinn des Lebens hinterfragt und mehr als einmal am Leben selbst zweifelt. Als Leser*in leidet man stark mit - nimmt aber gerade deshalb viel mit: sich selbst zu akzeptieren und die schönen Momente zu genießen!



Finn empfiehlt:

Die Kunst des Liebens von Erich Fromm

Erich Fromm beschreibt in: Die Kunst des Liebens, zwischenmenschliche Beziehungen so klug, schön und herrschaftsfrei, dass man nicht anders kann als es auf alle Mitmenschen zu beziehen. Ob Freundschaften, oder Romanze, die Konzepte sind philosophisch aufgestellt und dadurch universell anwendbar. Mir hat das Buch in meiner Abi-Zeit sehr geholfen, offener in meiner Beziehung zu kommunizieren und mich großteilig von Eifersucht befreit. Es hat mir als Mensch wirklich geholfen zu wachsen und ich habe es all meinen Freund*innen empfohlen, so wie ich es euch nun empfehle. Es ist zugegeben nicht besonders leicht zu lesen, ein philosophischer Text eben, verglichen mit den Texten aus dem Ethikunterricht, letztendlich aber doch sehr verständlich !


Bene empfiehlt:

Die Welt von Gestern von Stefan Zweig

Was können wir von einem Buch lernen, das den Niedergang Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Sicht eines österreichischen Schriftstellers beschreibt? Die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz eindeutig. Auf der einen Seite kann uns das Buch dabei helfen, die Gegenwart durch gute Kenntnis der Vergangenheit besser zu verstehen. So schreibt Stefan Zweig in Die Welt von Gestern, das den Untertitel Erinnerungen eines Europäers trägt, über die kulturelle Blüte Wiens im österreich-ungarischen Vielvökerstaat, den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und seine Erfahrungen als Kriegsgegner, die gesellschaftlichen Verwerfungen der Zwischenkriegszeit, den Aufstieg der faschistischen Parteien, die Errichtung dar Nazi-Diktatur und seine schmerzhafte Zeit im Exil.

Obwohl Die Welt von Gestern primär ein Zeitzeugenbericht über die bewegteste Zeit in der Geschichte unseres Kontinents ist, macht vor allem die persönliche Note Stefan Zweigs dieses Buch zum Meisterwerk. Kaum ein deutschsprachiger Autor hat jemals so schön und doch so einfach geschrieben. Und niemand kam dabei so viel in der Welt herum und hat so viele beeindruckende Menschen getroffen. Stefan Zweig tritt als Chronist seiner Zeit und seines eigenen Lebens auf. Die Welt von Gestern erlaubt uns den Einblick in das Seelenleben eines passionierten Europäers, der sich zum Ende seines Lebens vor dem Trümmerhaufen seiner Existenz wiederfand. Ich habe wohl nie ein Buch so gebannt gelesen wie dieses. Meine wärmste Leseempfehlung!


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