- Tell me what your values are and I will tell you what your identity is.
- “Wer von euch kackt regelmäßig in sein eigenes Wohnzimmer?
- Kleptokratie in Russland?
- Jeder von uns könnte an Verschwörungstheorien glauben
- Wir reden über Europa, aber wie sehr fühlen wir es?
Vom 07. bis zum 10. April fand das EuropaCamp in der internationalen Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg statt. Innerhalb der Tage fanden Workshops, Panels, Diskussionen, Kunst und Musik statt. Diese Themen dominierten die viertägige Veranstaltung: Der Krieg in der Ukraine, unsere Demokratie und natürlich die große Frage nach der Zukunft der Europäischen Union. Der Großteil der Veranstaltung wurde Live übertragen und kann sich im Nachhinein angeschaut werden. Diskutiert wurde auf Deutsch und Englisch.
Denkanstoß 1: Tell me what your values are and I will tell you what your identity is
Im Panel Trying to find Europe’s Identity begibt sich das EuropaCamp auf die Suche danach, was die europäische Öffentlichkeit und Identität ausmacht. Der Künstler, Kurator und Kommunikationsdesigner Erik Kessels nimmt dabei die Zuschauer*innen und anderen Panelgäste auf seine Suche nach einer europäischen Identität mit und zeigt in seinen Bildern auf kreative weise unterschiedliche Facetten der europäischen Öffentlichkeit.
Dabei zeichnet er ein Bild einer europäischen Identität, die mehr als nur eine Identität ist. Wolfgang Bergmann, Geschäftsführer von ARTE Deutschland, schließt sich ihm an und ergänzt, dass für ihn die europäische Identität eine Art Lebensweise ist, ein Gegenentwurf zu einer geschlossenen Identität und viel mehr ein freier Raum, in dem Hunderte verschiedene Identitäten zusammenkommen und einen Ort schaffen, an dem Freiheit mit Frieden kombiniert wird.
Was europäische Identität ist, ist also eine individuelle Wahrnehmung, aber alle Panelist*innen sind sich einig, dass sie auf Freiheit, Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten basiert.
Zum fünften mal fand das EuropaCamp dieses Jahr statt. In Zusammenarbeit mit ARTE stellte die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius das Event auf die Beine. Wie jedes Jahr konnte man die Veranstaltung kostenfrei besuchen.
Denkanstoß 2: “Wer von euch kackt regelmäßig in sein eigenes Wohnzimmer?”
Den offizielle Start des EuropaCamp 2022 leitete Dr. Eckart von Hirschhausen ein. Seit Jahren setzt sich der Arzt und Satiriker für die Klimabewegung ein. Er nutzte das Eröffnungspanel, um auf die Gesundheitsrisiken der Klimakrise aufmerksam zu machen. Denn obwohl zurzeit die Corona-Pandemie die Schlagzeilen beherrscht, stelle der Klimawandel eine größere Bedrohung für die Gesundheit dar, erklärte Hirschhausen. Am 07. April zum “World Health Day 2022” machte bereits die Weltgesundheitsorganisation (WHO) darauf aufmerksam: Our planet, our health. So heißt die diesjährige Kampagne der WHO. Damit fordert sie die Öffentlichkeit, Organisationen und Regierungen dazu auf, über ihren Klimaschutz und eben die Sicherung der Gesundheit zu berichten.
Denkanstoß 3: Kleptokratie in Russland?
Bei dem Panel “Krieg in Europa” sprach die Journalistin, Autorin und Russlandexpertin Katja Gloger von der aktuellen Situation Russlands: “Wladimir Putin hat es geschafft, das Land in eine Zange in eine Geiselhaft einer Ideologie zu nehmen, die eine Mischung ist aus Autoritarismus eine Kleptokratie, die verbrämt wird.” Doch was genau hat es mit dem Begriff der Kleptokratie auf sich?
Kleptokratie = griechisch: kléptein (“stehlen”) und krateïn (“herrschen”)– Laut der Bundeszentrale für politische Bildung lautet die Definition wie folgt: “Kleptokratie ist eine Herrschaftsform, in der die Herrschenden weitgehende Verfügungsgewalt über Besitz und Einkünfte eines Großteils der Bevölkerung haben.” Das Panel mit Gloger, der Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations Jana Puglierin, dem Professor Jörn Happel und dem General a.D. der Bundeswehr Hans-Lothar Domröse, lässt sich auf dem Youtube-Kanal der ZEIT-Stiftung erneut ansehen.
Denkanstoß 4: Jeder von uns könnte an eine Verschwörungstheorie glauben
Nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie oder des Ukraine-Krieges wird in der Öffentlichkeit immer wieder über Verschwörungstheorien, Desinformationen oder “Fake News” diskutiert. Dieses Phänomen gibt es schon viel länger und doch scheint es so aktuell wie nie. Durch die sozialen Netzwerke verbreiten sich falsche Informationen, wie ein Lauffeuer. Faktenchecks dagegen wirken wir leere Feuerlöscher. “Wie Verschwörungstheorien unsere Demokratie angreifen”, darüber sprachen Publizistin und Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun und Journalist Georg Mascolo mit Sascha Suhrke – dabei stellte Nocun klar: Niemand von uns ist sicher von Verschwörungstheorien.
Jede*r könne auf falsche Informationen hereinfallen. Das ist sicher da dahinter ganz einfach psychologische Mechanismen. Sicher ist aber auch, dass man sich dagegen schützen kann. Die Tipps der Expertin: Immer hinterfragen, wie einen die Information fühlen lässt. Regt sie mich auf und berührt mich emotional? In diesen Momenten bloß nicht vorschnell teilen, sondern prüfen, was und wer die Quelle ist.
Denkanstoß 5: Wir reden über Europa, aber wie sehr fühlen wir es?
Im Panel “Für ein Europa von morgen: Das dramatische Labor der Ideen” sprach der Journalist Yves Kugelmann gemeinsam mit den Panelist*innen über die aktuelle Situation Europas, wo wir hin wollen und was es dafür braucht. Immer wieder kommen sie dabei auf vermeintlich europäische und westliche Werte und darauf, was Europa für den einzelnen bedeutet zurück. Düzen Tekkal beschreibt Europa dabei als Sehnsuchtsort der Generation ihrer Eltern, als Ort der Rettung in das Grundgesetz, der von Menschen, die nicht so “Friedens verwöhnt” sind wie Europäer*innen noch einmal anders gesehen wird.
Aber Europa wird nicht nur als Sehnsuchtsort beschrieben, sondern auch als Konstrukt mit vielen Problemen, an denen es zu scheitern droht oder so Philipp Ruch in den letzten 10 bis 15 Jahren “moralisch [bereits] zusammengebrochen ist”. Jagoda Marinić bricht es auf die Frage zurück, warum -außer der Reisefreiheit- sollte sich der oder die Einzelne für Europa interessieren?
EuropaCamp 2022: Unser Fazit
In den drei Tagen aus Vorträgen, Workshops und Ausstellungen schafft es das EuropaCamp die aktuelle Lage Europas zu thematisieren und sich mit den neuen Realitäten - ganz nah am Motto - auseinanderzusetzen. Dabei wird nicht auf alle großen Fragen die perfekte Antwort gefunden, sondern viel mehr aufgezeigt, dass alle Themen zu facettenreich für eine einzelne Antwort sind. Die Panels schaffen es zum Weiterdenken anzuregen und sich zu fragen, was kann mein Beitrag zur Zukunft Europas sein?
Unser Fazit ist, dass wir viel über Europa reden, haben Kritik, Forderungen nach Änderungen und mehr politischer Teilhabe, aber trotzdem fühlen wir die europäische Idee - auch über die Reisefreiheit hinaus- sehr.
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